ReiseBerichtErstattung

reisen ist für mich der urquell schöpferischen tuns. ein lebensthema, ein lebenslanges thema...

 

neben den bildern (ob oel oder acrylmalerei, fotografie oder drucktechniken) zu denen links in der navigationsliste führen, gibt es hier auch noch ein paar texte von reisenden.

 

 

Steffen Mensching

VOM REISEN

 

Wenn die Behauptung stimmt, das Ziel des Reisenden sei die Reise selbst, bin ich selten gereist. Die meisten meiner Fahrten hatten einen Anlaß, einen Zweck, der die Bewegung bestimmte. Dem Reisenden ist das Unterwegssein der Kitzel, nicht Ankunft oder geplante Rückkehr. Jede wirkliche Reise rechnet insgeheim mit der Möglichkeit des Verschwindens. Im Dickicht der fremden Welt. Daher genießen und fürchten wir die Kunst des Reisens am intensivsten als Kinder, wo wir noch nichts von ihrer Eigenart wissen. Alles, was sich ereignet, stößt uns zu, ist für uns gemacht, passiert uns, wo doch eigentlich wir die Dinge passieren lassen, an ihnen vorbeiziehend. Dem Reisenden haftete früh der Geruch des Abenteurers an, der sich mal eben so auf den Weg macht, aus Lust und Laune. Um sich vom Müßiggängertum abzugrenzen, mußten besondere Etiketten erfunden werden: Forschungsreisender, Handlungsreisender, Dienstreisender. Mit der Erfindung des Reiseführers (in menschlicher und gedruckter Form) ging der Reisende in die Reisegruppe auf, verlor seine Kontur, um als Tourist wieder aufzuerstehen. Freizeitgestaltung als Arbeit, ein Programm, das planvoll bewältigt wird. Der Tourist sieht nicht die Dinge, die sich ihm entdecken, er besucht jene, die man gesehen haben muß.

 

 

 

 

Stephen Greenblatt

 Warum reisen?

Neugier ist nicht der alleinige Grund.

 

 

IN EINEM WANDSCHRANK bewahre ich eine Schachtel mit etwa hundert fast identisch aussehenden Fotos vom Hafen von Le Havre auf. Dort nämlich ging das Schiff, auf dem ich zum erstenmal nach Europa reiste, nach fünftägiger Fahrt über den schiefergrauen Atlantik zu guter Letzt an Land. Die trunkene Stimmung, in der ich ohne Zögern drei Filme von ein und derselben tristen Szenerie verschoss - Betonpier, Lastwagen, blau gekleidete Hafenarbeiter, die unter bleiernem Himmel ihrer Arbeit nachgehen -, verdankte sich vermutlich zu einem guten Teil der sensorischen Deprivation der Ozeanreise. Schliesslich habe ich kein einziges Bild von unserem Ausgangspunkt, dem Hafen von New York, gemacht, obschon er doch eine der spektakulärsten Ansichten dieser Welt zu bieten hat: die atemberaubende Skyline von Manhattan mit ihrem tosenden Verkehrsgewühl, der Freiheitsstatue und nicht weit davon entfernt Ellis Island, wo vor fast hundert Jahren zusammen mit Horden von anderen Einwanderern meine Grosseltern in Amerika eintrafen.

Das Schwanken des Dampfers versetzte mich in ein anhaltendes Unwohlsein, und nachdem ich tagelang in die Wellen gestarrt und ob der nervtötenden Routine von Essen und Schlafen beinahe den Verstand verloren hatte, genügte schon der blosse Anblick von Land - so wenig ansprechend und verheissungsvoll er auch sein mochte -, um mich auf Touren zu bringen. (In Shakespeares «Sturm» schwört eine vom Schiffbruch bedrohte Person, sie «würde tausend Hufen See für einen einzigen Morgen dürren Landes geben: hohes Heidegras, braunen Ginster, was immer».) Aber es war nicht nur die Langeweile der Überfahrt, die mich zur wütenden Foto-Orgie trieb. Der Hafen von New York war mir vertraut, und obschon ich mir trotzdem seiner unbändigen Energie und seines Glamours hätte bewusst sein müssen, war ich zu sehr auf das Unbekannte fixiert, um mich beim Altbekannten aufzuhalten. Frankreich wirkte selbst im schmutzig trostlosen Gewand von Le Havre wie die reinste Zauberei auf meine amerikanische Vorstädterseele.

Worauf beruhte dieser Zauber? Auf einem wirren Sammelsurium von verwaschenen Schulbuch-Illustrationen vermutlich, nebst Frank Sinatras Song über den «April in Paris», auf einigen romantischen Kinofilmen und ein paar alten Heften des «National Geographic Magazine». Was die populäre Kultur unserer Tage an Treibgut so anschwemmt, reicht völlig aus, unsere Phantasie zu entflammen und ein Verlangen nach Überwindung enormer Distanzen zu wecken. Schon die bescheidensten und fragmentarischsten Spuren einer anderen Kultur - ein Paar Blue Jeans, ein Lied, das Etikett auf einer Flasche - wecken im Reisenden die Bereitschaft, sich Desorientierungen, Verdauungsstörungen, Langeweile, Unkosten, ja sogar der einen oder anderen Gefahr auszusetzen. Weshalb? Weshalb sollten Leute aus bequemen Lebensverhältnissen (denn ich spreche hier nicht von den armen Teufeln, die durch Krieg, Hunger oder drückende Armut aus ihrer Heimat vertrieben werden) auf ihre vertraute Umgebung, ihre wohlfeilen Befriedigungen und gewohnten Sicherheiten verzichten, um - und sei es nur für ein paar Tage oder Wochen - an Orte zu reisen, deren Sprache und Sitten sie nicht kennen, über deren Geschichte sie kaum etwas wissen und wo sie im wesentlichen auf Menschen treffen, die es vornehmlich darauf abgesehen haben, die Gäste so effizient wie möglich von ihrem Geld zu trennen?

Ein wichtiges Motiv ist sicher die Neugier, jene merkwürdige Triebkraft, die schon von den Theologen des Mittelalters unermüdlich bekämpft wurde, weil sie ihnen als sündige Abschweifung von der Versenkung in Gott erschien. Aber selbst zu den frömmsten Zeiten war es den Abenteuerlustigen möglich, ihre Neugier mit Pilgerfahrten zu befriedigen, jene spektakulären Vorläufer des modernen Tourismus. Im Verlauf der folgenden Jahrhunderte nahmen dann sowohl Reiserouten wie deren Rechtfertigungen allmählich weltlichere Züge an. Der Wunsch nach Grenzüberschreitungen, nach dem Blick über den Horizont, nach einer Begegnung mit dem Fremden und Unbekannten kann zwar unterdrückt, aber niemals gänzlich erstickt werden. Denn wie so manches wankende Regime in jüngster Zeit zum eigenen Nachteil entdecken musste, wird die Neugierde durch Massnahmen zu ihrer Eindämmung - ob Mauern, Erlasse oder Reisebeschränkungen - letztlich immer nur verstärkt.

Vor einigen Jahren sah ich in Weimar in der ehemaligen DDR eine Studentenaufführung von «Hamlet». Die Darbietung war eher farblos, und das Publikum wirkte gelangweilt bis zu jenem Moment, als Polonius' Sohn Laertes den König um die Erlaubnis bat, nach Paris zurückzukehren. Als daraufhin der König - in einer Szene, die bei Shakespeare gar nicht vorgesehen ist - zu seinem Schreibtisch ging, einen Reisepass aus der Schublade holte und ihn dem jungen Mann aushändigte, stockte dem gesamten Publikum hörbar der Atem.

Doch weshalb sollte die Neugierde eine so überwältigende Macht sein? Und weshalb das Reisen ihr vollkommenster Ausdruck? Die Menschen sehnen sich doch ganz offensichtlich nach Routine: Sie bereiten ihren Kaffee allmorgendlich auf dieselbe Weise zu, verstauen ihre Kleider tagein, tagaus in derselben Schublade, lassen ihren Blick halbbewusst auf ein und demselben Wandfleck ruhen, tauschen mit ihren Nachbarn die ewig gleichen Redensarten aus. Aber je erfolgreicher sie ihren Wunsch nach Routine befriedigen, desto stärker meldet sich in regelmässigen Abständen die Sehnsucht, ihr zu entfliehen. Sie wünschen sich, was die russischen Formalisten in der Literaturtheorie zu Beginn dieses Jahrhunderts als ostranenije oder Verfremdung bezeichneten. Für Wiktor Schklowski bestand der Sinn der Poesie gerade darin, das normale Sprachgefüge aufzubrechen. Die Poesie entferne, ja entfremde die Leser von all den Erfahrungen, die sie gemeinhin für selbstverständlich halten und nicht reflektieren, und erneuere gerade dadurch die Sprache.

Die Geschichte des Reisens ist die Geschichte der gewollten und kontrollierten Entfremdung. Massgebliche Bestandteile der äusseren Welt - Landschaft, Klima, Gebäude, das Bett, in dem man schläft, das Waschbecken, in dem man sich wäscht, das Essen, das man zu sich nimmt, die Gesichter der Fremden, die einem auf der Strasse begegnen -, all das verändert sich auf Reisen und wird dadurch überhaupt erst spürbar. Als die chinesische Regierung vor etwa zwanzig Jahren zum erstenmal ihre Reisebeschränkungen lockerte, beherbergte ein amerikanischer Freund einen chinesischen Dozenten, der seine Geburtsstadt noch nie zuvor verlassen hatte. Am ersten Tag des Besuchs entdeckte mein Freund seinen Gast mit offenem Munde im Badezimmer stehen und zwischen Verwunderung und Entzücken hin und her gerissen die alltäglichsten Dinge bestaunen: die elektrische Zahnbürste, allerlei Kosmetika, den Haarfön, die pastellfarbene Seife in Muschelform. Die meisten dieser Gegenstände gab es in anderer Form natürlich auch in China, aber darum ging es gar nicht: ihr Aussehen war hinreichend verschieden, so dass diese gewöhnlichen Artefakte einer bürgerlichen Existenz dem Besucher wie faszinierende und exotische Luxusartikel vorkamen.

Wie die Poesie die Intensität der Sprache steigert, so machen die Entfremdungseffekte einer Reise die äussere Welt nicht nur spürbar, sondern steigern auch ihre Intensität. Als Folge davon ändert sich das Verhältnis zwischen dem Selbst und den Dingen, die jenseits von uns liegen: für die Dauer eines Augenblicks besteht die Welt auf einer eigenen, unabhängigen Existenz, einer von uns losgelösten Dinglichkeit, und wir fühlen uns von unseren persönlichen Obsessionen befreit. Es ist auf die Veränderung dieses Verhältnisses zurückzuführen - auf die Zunahme der objektiven Widerständigkeit der Welt und die verringerte Souveränität des Ichs -, dass wir das Reisen oft als Urlaub nicht nur von der gewohnten Umgebung, sondern auch von uns selbst erleben.

Aber das ist nur der eine Teil der Geschichte. Paradoxerweise geht die Intensivierung der Objektwelt auf Reisen mit einer Intensivierung der projektiven Einbildungskraft einher. Wir verreisen nie ohne Erwartungen, nie ohne eine Sequenz von geistigen Bildern, die wir zu bestätigen hoffen, nie ohne ein Drehbuch, dem wir halb bewusst folgen. Ich besitze all die Fotos vom Hafen von Le Havre nicht nur deshalb, weil er in seiner ganzen Banalität auf mich wie Neuland wirkte, sondern auch, weil ich eine im Wind flatternde Trikolore sah und einen Mann mit einer Baskenmütze auf dem Kopf und einen anderen mit einer Baguette unter dem Arm: Bilderbuchbilder von Frankreich, Signale, welche mir dabei halfen, meine Wahrnehmungen mit meinen Erwartungen zur Deckung zu bringen.

Selbst wo Erwartungen enttäuscht werden, besitzt die Phantasie ein erstaunliches Beharrungsvermögen. Christoph Kolumbus hatte in mittelalterlichen Reiseberichten über den Fernen Osten von Meerjungfrauen gelesen. Er erwartete aus tiefster Überzeugung, Meerjungfrauen zu sehen, und glaubte sie schliesslich in den Seekühen vor Haitis Küste erspäht zu haben. Natürlich war er ein wenig enttäuscht: «Sie waren nicht so schön, wie sie beschrieben werden», notierte er in seinem Logbuch, «denn sie hatten eher männliche Gesichtszüge.» Er sah, was er zu sehen erwartete, und so unattraktiv sie ihm auch erschienen, ihre Existenz bestärkte ihn in dem Glauben, dass er vor den Gestaden Chinas kreuze. Wann immer die Welt ihn überraschte, indem sie seinen Erwartungen widersprach, begann er, wie es Reisende fast immer tun, diesen Fehler auszumerzen, indem er das aufspürte, was er zu finden suchte. «Weit von hier», antworteten die Einheimischen auf Kolumbus' Nachfragen, gebe es «Leute mit einem Auge und andere mit Hundeschnauzen, welche Menschen frässen und alle, die sie fingen, köpften und ihr Blut söffen und ihnen das Geschlecht abschnitten.»

Der Massentourismus jagt zwar glücklicheren Visionen nach, doch dreht sich auch bei ihm alles um die Bestätigung von Erwartungen: Er stellt sicher, dass man genau das bekommt, was man sich vorgestellt hat, oder zynischer, dass man sich zumindest einbildet, man bekomme genau das, was man sich vorgestellt hat. Wenn die wirkliche Welt nicht der Vorstellung entspricht, muss sie ihr selektiv angepasst werden: Leute werden dafür bezahlt, dass sie ihr «Eingeborenenkostüm» anlegen und allabendlich um 20 Uhr vortanzen; Speisen, die nur von Touristen gegessen werden, werden als «landeseigene Spezialitäten» aufgetischt; ganze Stadtviertel werden sorgsam wiederaufgebaut, um eine «authentische Atmosphäre zu bewahren», während das gewöhnliche Leben von T-Shirt-Boutiquen und Andenkenläden verdrängt wird, deren überteuertes «regionales» Kunsthandwerk in aller Regel einige tausend Kilometer entfernt am Fliessband produziert wurde.

Und selbst wo das Begehren des Reisenden auf ein weitgehend unverfälschtes Objekt stösst, muss der Zugang zu diesem oft sorgfältig inszeniert werden, um die Bedürfnisse der touristischen Phantasie zu befriedigen. Vergangenen Monat, als ich auf dem Weg zum Flughafen im Taxi durch New York fuhr, fiel mir eine Busladung norwegischer Touristen auf, die sich in der 125. Strasse zusammen mit einigen Einheimischen ablichten liessen. Daneben wartete mit laufendem Motor der Reisebus, um die Touristen nach dem Fototermin sofort wieder wegzuschaffen. Daheim in Oslo werden sie ihren Freunden vermutlich von einem aufregenden Besuch in Harlem berichten. Muss man dergleichen absurde, gestellte Erlebnisse verurteilen? Ich hoffe nicht, denn wie oft bin ich nicht selbst wissentlich oder ahnungslos in ähnliche Situationen geraten. Wenn die Welt sich uns völlig entfremdet und unseren konventionellen Erwartungen nicht mehr in jedem Punkt entspricht, dann wird sie schnell ungemütlich, unheimlich, langweilig oder einfach nur enttäuschend. Nicht zuletzt verschafft es einem natürlich eine gewisse Genugtuung, wenn man bekommt, wofür man bezahlt hat. In Kenyas Masai-Mara-Nationalpark holperten wir im Landrover querfeldein hinter einem Warzenschwein her, das sich immer wieder verärgert nach uns umschaute. Ich fragte den Fahrer, warum er dieses eine Tier so lange verfolge, aber er hiess mich nur stumm abzuwarten. Da das Warzenschwein vollauf mit dem Landrover beschäftigt war, übersah es in der Senke, auf die es zutrottete, die wartenden Löwen; es wurde vor unseren Augen von ihnen zerfetzt. Wir durften uns glücklich preisen, so sagte ein jeder, einem solchen Schauspiel beigewohnt zu haben, und gaben unserem Fahrer ein fürstliches Trinkgeld. Dieser beteuerte hoch und heilig, er habe keine Ahnung gehabt, dass die Löwen dort auf der Lauer lagen. Wir hätten einfach nur Glück gehabt. Kein Zweifel.

Aber selbst an beunruhigenden Erfahrungen schätze ich besonders jene Momente, in denen die Welt sich meinen Vorstellungen widersetzt, wo sie sich hartnäckig jeder Vereinnahmung verweigert, wo sie Vorhersehbares und Unerwartetes durcheinanderwürfelt oder zumindest auf einem Widerwort besteht. Einmal fuhr ich durch ein märchenhaftes Tal in der Toscana und hielt an, um ein Foto von einem Bauern zu machen, der mit einem Gespann weisser Ochsen seinen Acker pflügte. Berauscht von der berückenden Schönheit der Szene, die direkt einem Gemälde von Piero della Francesca entsprungen schien, rief ich dem Landmann begeistert zu: «Che bel paese!» Der Bauer schaute auf und rief von seinem Standpunkt inmitten des Feldes zurück: «In der Stadt ist es besser!»

 

Stephen Greenblatt lehrt englische Literatur an der University of California in Berkeley. Zuletzt ist von ihm auf deutsch erschienen «Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker».

 

 


Vincent van Gogh 

Aus Brief 136 / 24.Sept.1889 "Als Mensch unter Menschen" / "Letters to Theo" 

 

 

"Aber doch habe ich die Landschaft von Courriéres gesehen, die braune Erde, den beinah kaffeebraunen Mergelboden mit weißlichen Flecken, da wo der Mergel zu Tage liegt, was uns, die wir an schwärzlichen Boden gewöhnt sind, mehr oder weniger sonderbar vorkommt.

Der französische Himmel scheint mir übrigens viel zarter und durchsichtiger, als der verräucherte, neblige Himmel des Borinage. Außerdem gab es Bauernhäuser und Schuppen, die noch - Gott sei Lob und Dank - ihre bemoosten Strohdächer hatten, auch sah ich Schwärme von Raben, wie sie durch Daubignys und Millets Bilder berühmt geworden sind; aber eigentlich hätte es sich gehört, daß ich zuerst die charakteristischen und malerischen Gestalten der verschiedenen Arbeiter genannt hätte: Grabende, Holzhauer, einen Fuhrmann mit seinem Gespann und die Silhouette einer Frau mit weißer Haube. ...Obwohl dieser Ausflug mich bis zum Äußersten angestrengt hat und ich vor Müdigkeit völlig erschöpft, mit wunden Füßen und in einem mehr oder weniger trübseligen Zustand nach Hause kam, bedaure ich ihn nicht, denn ich habe interessante Dinge gesehen, und man lernt gerade, wenn man am elendsten dran ist, mit anderen Augen sehen."

 

 

mehr Van Gogh über Courrieres

 

"Immerhin bin ich in Courrierés gewesen und habe das Atelier von Jules Breton gesehen. Das Äußere dieses Ateliers hat mich etwas enttäuscht, denn es ist ein ganz neues Atelier, ein neuer Ziegelbau, so regelmäßig als hätten ihn Methodisten hingesetzt, ungastlich und frostig und ärgernisserregend. Hätte ich das innere sehen können, so hätte ich das Äußere darüber vergessen, das möchte ich glauben, ja ich bin dessen sogar sicher, aber was soll man tun

- das Innere habe ich nicht sehen können.

Denn ich habe nicht gewagt vorzusprechen und um Einlaß zu bitten...

Doch von lebenden Künstlern keine Spur, nur ein Café gab es, das >Café zu den Schönen Künsten< hieß, ebenfalls aus neuen, ungastlichen und frostigen und seelenlosen Ziegeln...

Aber doch habe ich die Landschaft von Courriéres gesehen, die braune erde, den beinah kaffeebraunen Mergelboden mit weißlichen Flecken, da wo der Mergel zu Tage liegt, was uns, die wir an schwärzlichen Boden gewöhnt sind, mehr oder weniger sonderbar vorkommt.

Der französischen Himmel scheint mir übrigens viel zarter und durchsichtiger, als der verräucherte, neblige Himmel des Borinage. Außerdem gab es Bauernhäuser und Schuppen, die noch - Gott sei Lob und Dank - ihre bemoosten Strohdächer hatten, auch sah ich Schwärme von Raben, wie sie durch Daubignys und Millets Bilder berühmt geworden sind; aber eigentlich hätte es sich gehört, daß ich zuerst die charakteristischen und malerischen Gestalten der verschiedenen Arbeiter genannt hätte: Grabende, Holzhauer, einen Fuhrmann mit seinem Gespann und die Silhouette einer Frau mit weißer Haube. Selbst in Courriéres gab es noch ein Kohlenbergwerk oder eine Grube, ich sah die Bergleute von der Tagesschicht in der Abenddämmerung ausfahren; aber es gab da keine Arbeiterinnen in Männerkleidung wie im Borinage, nur berarbeiter mit müden, elenden Gesichtern, schwarz vom Kohlenstaub, in ihren Arbeitslumpen, einer von ihnen in einem alten Soldatenmantel.

Obwohl dieser Ausflug mich bis zum Äußersten angestrengt hat und ich vor Müdigkeit völlig erschöpft, mit wunden Füßen und in einem mehr oder weniger trübseligen Zustand nach Hause kam, bedaure ich ihn nicht, denn ich habe interessante Dinge gesehen, und man lernt gerade, wenn man am elendsten dran ist, mit anderen Augen sehen."

 



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